
Mein jüngster Sohn Malte ist gegangen. Unnötig, unerwartet, unfassbar, unbegreiflich, unerträglich, unersetzlich.
Ein hoffnungsvolles Leben, gerade mit ersten vorsichtigen, erwartungsvollen freudigen Schritten ertastet, erahnt, ist zu Ende gegangen.

Malte, für mich Weggefährte, Beistand, Fürsprecher, Freund, Erzieher, aber auch Schutzbefohlener, Schüler und Nesthäkchen. Ein kontinuierliches, liebevolles Wachsen gegenseitigen Vertrauens in den geschenkten sechzehn Jahren. Voll neugieriger Freude und Erwartung auf die Zukunft. Zukunftsängste hatten da keinen Platz.
Dann, ohne Ankündigung, die unerbittliche, radikal endgültige, sinnlose Zäsur.

Lebensfundamente geraten, gleich einem Erdbeben, ins Wanken. Zukunftsgebäude stürzen zusammen, Trümmer liegen umher, der Himmel trauerschwarz, Apokalypse überall. Alles so lassen? Schicksalsergeben? Wo ist die Kraft, die wieder aufbaut?

Tägliche Hilferufe am Grab, zu Gott, versuche Wege zu Malte zu finden, will mich nicht vom Strom des Leides fortreißen lassen, fort von meiner Edith, von meinem Jan, von meinem Sören – und fort von mir selbst. Auch fort von Malte, der würde sagen: “Ach Papa, wir schaffen das“. Er wird wohl wachsen, der zarte Samen, der aufbaut, der Kraft gibt, der Hoffnung heißt. Doch noch sind da, andere treue Wegbegleiter: der Schmerz, die Trauer, allgegenwärtig, allumfassend.

Aber auch Liebe, Erinnerung, Sehnsucht, Dankbarkeit, Hoffnung.
Wie schön, dass Malte Liebe und Wärme spürte, die ihm in unserer Welt von uns geschenkt wurde.
Wie schön, die unverblassten Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse, ausgetauschte Gedanken, ein zarter Kuss.
Wie schön, wenn ein Knall den geschehenen und nicht zu verinnerlichenden Schicksalsschlag ungeschehen und uns fünfen das sehnsüchtig erwartete Zusammensein zurückbringen könnte.
Wie schön, dass Dankbarkeit für den gemeinsam erlebten Lebensweg die Erinnerung bestimmt.
Wie schön, dass die Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt bei mir geboren ist und zur Gewissheit wächst.

Wie also umgehen mit widerstreitenden Gefühlen? Mit dem Wissen, dass Malte hätte gerettet werden können. Mit den enttäuschten Wünschen und Erwartungen an die gemeinsame Zukunft. Mit Freude und Neugierde erwartete er sein Leben: Schule, Beruf, eine Freundin, Reisen, Kumpel – Malte ist darum betrogen worden und ich habe es nicht verhindern können. Ich bin es Malte schuldig, die Umstände seines Todes aufklären zu helfen. Erst dann werde ich meine Trauer verarbeiten können.

Geschwunden ist die Angst vor dem eigenen Tod, was bleibt ist die Liebe für meinen jüngsten Sohn und die Zuversicht auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt.
Ich freue mich darauf
Dein Papa